Die 1980er Jahre Der „Lehrling“ ein Politikum und neue Rekorde bei der Ausbildung
Als „absoluten Blödsinn“ beschreibt der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Dr. Helmut Kohl, die Entscheidung, in Gesetzen und Verordnungen den Begriff „Lehrling“ abgeschafft und gegen „Auszubildender“ ersetzt zu haben. „Ich habe zu meiner angenehmen Überraschung festgestellt, daß auch Bundeskanzler Helmut Schmidt diese Meinung teilt – was ja nicht immer der Fall ist“. Man solle wieder zum guten alten Lehrling zurückkehren, mahnt Kohl.

Vor- und Nachmachen: Szene aus der Schweißerwerkstatt des Koblenzer Berufsbildungszentrums I zu Beginn der 1980er Jahre.
Die wirklichen Probleme bei der Ausbildung Jugendlicher ergeben sich aus einer Verschiebung im Verhältnis offener Lehrstellen zu Ausbildungsinteressierten. Handwerksbetriebe suchen hängeringend Nachwuchs – und das, obwohl zu Jahresbeginn 1980 mit 17.517 Ausbildungsverhältnissen ein neuer Rekord in der 80-jähringen Geschichte der HwK erreicht wird. Doch die Zahl der Abgänger aus Haupt- und Realschule wird in den nächsten Jahren deutlich fallen von bundesweit 850.000 (1980) auf prognostizierte 484.000 (1992). Was auch mit dem Königsweg Abitur zusammenhängt. Lehrer- wie auch Elternschaft gleichermaßen drängen den Nachwuchs in diese Richtung, was Folgen für die Abgänger aus Haupt- und Realschule hat.
Und: es gibt immer weniger deutsche Kinder, zeitgleich steigt die Zahl ausländischer Kinder. „Bis 1995 wird der Anteil ausländischer Jugendlicher von derzeit 7 auf 20 Prozent steigen“, gibt die HwK einen Ausblick auf die weitere Entwicklung. Da ist es naheliegend, diese Gruppe für das Handwerk zu gewinnen. Entsprechend bietet die HwK in ihren Berufsbildungszentren Möglichkeiten an, in Handwerksberufe hineinzuschnuppern. Parallel nimmt die „Pädagogische Anlaufstelle“ (PA) innerhalb der HwK ihre Arbeit auf. Als Nahtstelle zwischen Schule und Wirtschaft informiert sie Schüler wie Lehrer über das Handwerk und seine Berufswelt. Sie ist auch Ansprechpartner für die Betriebe, koordiniert den schulischen Teil der Ausbildungsgänge und ist Partner für die Arbeitsverwaltung. Mit der PA beschreitet die Koblenzer Kammer Neuland, denn die ist und bleibt bundesweit einzigartig. Unter anderem koordiniert sie auch jährlich 3.500 Mitmachaktionen von Schülern in den HwK-Ausbildungszentren sowie die Lehrerinformationstage. Diese sind Forum des Gedankenaustauschs für alle an der beruflichen Ausbildung Beteiligten. Damit baut die HwK wirkungsvolle Instrumente auf, um die Nachwuchsgewinnung breit und verlässlich abzusichern.
Und auch die „Hardware“ wird in Sachen Ausbildung erweitert, denn im Koblenzer Industriegebiet Rheinhafen wie auch in Bad Kreuznach (Spatenstich im Dezember) sollen neue Berufsbildungszentren der HwK entstehen. Mit der „Akademie des Handwerks“ will die HwK zusätzlich ein akademisches Angebot schaffen, das zum einen das Fortbildungsangebot der HwK bündele, zum anderen aber auch einen eigenen Studiengang mit dem Abschluss „Betriebswirt des Handwerks“ anbiete (sowohl die Akademie wie auch der Betriebswirt werden realisiert). Die Kammer will damit insbesondere das Bildungsstreben junger Handwerksmeister bedienen.
Die jüngste Meistergeneration steht am 27. Mai im Mittelpunkt. Im Rahmen der großen Meisterfeier mit Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel als Festredner werden nicht nur 600 Meisterbriefe überreicht, sondern auch der 80. Geburtstag der HwK gefeiert. 1.500 Gäste sind der Einladung in die Rhein-Mosel-Halle gefolgt.
Die Konjunktur brummt: 90 Prozent der für den Wirtschaftsbericht befragten Unternehmen melden eine gute Auftragslage. Spitzenreiter ist das Gebäudereinigerhandwerk! Und doch ziehen dunkle Wolken am Konjunkturhimmel auf und der Kreishandwerksmeister am Mittelrhein warnt: „Wir müssen uns auf Rückschläge einstellen.“ Es ist Karl-Heinz Scherhag, der auf einer Delegiertenversammlung einen deutlichen Abschwung prognostiziert. Auf der gleichen Veranstaltung spricht auch der HwK-Hauptgeschäftsführer Karl-Jürgen Wilbert. Beide, Scherhag und Wilbert, werden (ab 1988) über Jahre und die Jahrtausendwende hinweg die Spitze der HwK in Ehren- und Hauptamt stellen. (1980 ist Fleischermeister Friedrich W. Becker Präsident der HwK.)
Frauen erobern Männerberufe: Mit der 26-jährigen Marlies Schneiders aus Poltersdorf im Kreis Cochem legt erstmals in der Geschichte der Handwerkskammer Koblenz eine Frau die Meisterprüfung im Elektroinstallateurhandwerk ab. Und auch in der Ausbildung sind junge Frauen auf dem Vormarsch – quantitativ wie auch qualitativ. Denn ihre Erfolgsquote bei der Abschlussprüfung liegt bei 90,2, die der männlichen Kollegen bei 86,7 Prozent. Von den 14.452 bei der HwK eingetragenen Betrieben werden 1.201 in 55 unterschiedlichen Handwerksberufen von einer Frau geleitet – das sind 8,3 Prozent aller HwK-Mitgliedsbetriebe.
Im Sommer 1980 wird erstmals eine Koblenzer Wirtschafts- und Verbraucherausstellung unter Mitwirkung des Handwerks organisiert. 500 Aussteller und 100.000 Besucher lautet die beeindruckende Bilanz nach neun Tagen. Die Entscheidung, im Zweijahresrhythmus eine solche Veranstaltung fortzusetzen, ist folgerichtig. Es ist die Geburtsstunde der „MESSE AM RHEIN: Handwerksmesse Koblenz“, die ab 1987 unter Regie der HwK durchgeführt wird.
Und auch die geplante Rheinbrücke bei St. Goarshausen schafft es wieder – wie in all den Jahrzehnten zuvor auch! – in die Schlagzeilen. Noch immer wird auf deren Dringlichkeit hingewiesen und der damit zu erwartende wirtschaftliche und touristische Aufschwung als wichtiges Argument genannt. Alle sind dafür – ob Wirtschaft, Anwohner oder Lokalpolitik. Doch die Realität ist geduldig …