Die 1970er Jahre Handwerk und seine Siegertypen: Vom Marathonunternehmen bis Olympia
Die Koblenzer Sattlerei Konrad Biergann feiert in diesem Jahr ihr 75-jähriges Firmenjubiläum – als eines von vielen bei der HwK eingetragenen Unternehmen. Und doch gibt es ein Alleinstellungsmerkmal, denn der Name Konrad Biergann ist auch auf Seite 1 der Lehrlingsrolle von 1900 aufgeführt: er bildet einen der ersten Lehrlinge in der inzwischen 70-jährigen Geschichte der Koblenzer Handwerkskammer aus. Sein Schützling August Hirsch trägt seitdem die Nummer 17 in der ewigen Lehrlingschronik, die inzwischen auf über 250.000 angestiegen ist.

Diagnose in einer Kfz-Werkstatt, 1970er Jahre
In Sachen Ausbildung bahnt sich in den vier rheinland-pfälzischen Handwerkskammern 1970 ein Kuriosum an: kaum ein Lehrling wird am Praktischen Leistungswettbewerb (PLW) teilnehmen! Der Grund ist weniger in schlechten Ausbildungsleistungen oder fehlenden Lehrlingen zu suchen, sondern in einer Umstellung des Schulentlasstermins drei Jahre zuvor. So melden sich im Frühjahr 1970 kaum Lehrlinge zur Abschlussprüfung an – eine Voraussetzung zur Teilnahme am PLW. Die Kammerspitzen in Koblenz, Trier, Mainz und Kaiserslautern entscheiden deshalb kurzerhand, dass sich auch Lehrlinge mit Prüfung im Herbst 1969 anmelden dürfen.
Gerade für die HwK Koblenz ist der Wettbewerb Prestige wie Verantwortung, denn das Finale, der Bundesentscheid, wird im gerade fertiggestellten, neuen Ausbildungszentrum der HwK (BBZ I) in der Koblenzer St. Elisabeth-Straße 2 durchgeführt, in das 4,3 Mio. D-Mark investiert wurden. Rund 100 Bundessiege werden hier ermittelt.
Schon kurze Zeit später wird aufgrund der starken Nachfrage klar: ohne Erweiterung wird es nicht gehen. Bereits Ende März 1970 stellt die Vollversammlung die Weichen für einen weiteren Neubau. In der benachbarten David-Röntgen-Straße soll neben dem „Hauptausbildungszentrum“ (BBZ I) ein zweites Zentrum (BBZ II) für die Aus- und Weiterbildung entstehen.
Im frisch eingeweihten Neubau wird im April auch die Altmeisterfeier durchgeführt: 34 Meisterjubiläen werden gefeiert. (Zum Vergleich: die gleiche Feier 2024 zeichnete 223 Altmeisterinnen und Altmeister aus.) Zugleich werden 498 Meisterbriefe an die jüngste Meistergeneration überreicht.
Einer, der sich zu dieser Zeit bei der HwK auf seine Maurermeisterprüfung vorbereitet, ist Peter Hussing aus Brachbach an der Sieg. Nicht nur beruflich ist er auf Titelkurs, sondern auch sportlich. Hussing (1948-2012) ist Deutscher Amateurboxmeister im Schwergewicht und konnte Platz 3 bei den Europameisterschaften erreichen. Er wird 1972, 1976 und 1984 an Olympischen Spielen teilnehmen und bereits bei seiner Premiere in München Bronze gewinnen. Nach seiner Sportkarriere kehrt er ins Handwerk als Selbstständiger zurück.
Quasi um die Ecke, im 35 Kilometer entfernten Altenkirchen, finden im Sommer 1970 die Wahlen zu den „Gesellenausschüssen“ der Innungen statt. Für die Bäcker wird ein gewisser Hans-Artur Bauckhage gewählt – der spätere rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister ist als selbstständiger Bäckermeister tief im Handwerk verwurzelt. Und auch der spätere Präsident der Handwerkskammer und Bundestagsabgeordnete, Kfz-Mechanikermeister Karl-Heinz Scherhag, wird in diesem Jahr gewählt – in den Vorstand der Koblenzer Kfz-Innung.
Um Mobilität geht es auch beim Neubau einer linksrheinischen Autobahn, die den Wirtschaftraum Koblenz besser in den Fernverkehr einbinden und die mobile Anbindung des Handwerks deutlich verbessern soll. Für die als A 14 geplante Strecke ist der erste Teilabschnitt im Kammerbezirk zwischen Rheinböllen und Bingen bereits befahrbar. Zwischen Koblenz und dem Zubringer zur Hunsrückhöhenstraße bei Pfaffeneck müssen noch 14 Brücken gebaut werden. Später wird die Nummerierung der Bundesautobahn wechseln auf A 61.
Ebenfalls thematisiert: der Bau einer Rheinbrücke an der Loreley, um „neue Betriebe für eine Ansiedlung zu gewinnen und das herrliche Landschaftsbild auch stärker für den Fremdenverkehr zu nutzen.“ Da sich alle Akteure einig sind in Sachen Brückenbau, geht es nun nur noch darum, „das Projekt mit Tatkraft voranzutreiben“.
Als großes Infrastrukturprojekt gilt auch die Verlegung von Erdgasleitungen in weiten Teilen des Kammerbezirks für eine moderne, zukunftssichere Energieversorgung, wovon auch das Handwerk profitieren soll.
Das eine ist längst Geschichte, das andere nach endlosen politischen Debatten immer noch nicht umgesetzt …