Die 1930er Jahre Ende der Besatzungszeit und viele Fragen zur Zukunft

Die an die Handwerkskammer Koblenz übermittelte Drahtung kam vom Reichspräsidenten von Hindenburg persönlich, der sich als Ehrenmeister des Handwerks herzlich bedankte für die „in der schwersten Zeit und Not geleistete opfervolle Arbeit.“ Vorausgegangen war der Abzug alliierter Truppen aus der 2. Besatzungszone, zu der auch Koblenz zählte, und Hindenburg schloss mit Worten der Hoffnung, „das Handwerk wird die heiß ersehnte Freiheit benutzen zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft.“

Die 1930er Jahre
Stadtarchiv Koblenz
Reichspräsident Paul von Hindenburg beim Besuch der Handwerkskammer Koblenz am 22. Juli 1930.

Doch kurze Zeit später schlägt Heinrich Otto als hauptamtlicher Leiter der Handwerkskammer nachdenkliche Worte mit Blick auf den Zustand des Handwerks an: „Traurig sieht es in vielen Betrieben aus. Arbeit ist nicht vorhanden. Rücklagen fehlen. Ist das Wohlfahrtsamt letzten Endes Helfer in der Not?“ Die Betriebszahlen stiegen zwar in dieser Zeit um 2.000 auf 21.000 – auch weil zum 31. Dezember 1929 der Aufbau der Handwerksrolle abgeschlossen wurde und damit erstmals eine solide Registrierung der Handwerksbetriebe vorlag. Vorausgegangen war der Versand eines Fragebogens, bei dessen „Ausfüllung Bürgermeistereien und Polizei gegen eine bestimmte Vergütung herangezogen wurden.“ 2.400 Mark lässt sich die Handwerkskammer das kosten.

Doch mit der wirtschaftlichen Not Anfang 1930 stieg die Zahl der bei der HwK registrierten Betriebe auch, weil angestellte Mitarbeiter in eigenständiger Arbeit als Einmannbetrieb ihr Glück suchten. Gerade einmal 21,4 Prozent aller Handwerksbetriebe werden durch einen Meister geleitet. Folgerichtig fiel in dieser Zeit die Zahl der Lehrlinge auf unter 4.000. In ihrer 57. Vollversammlung am 24. März 1930 wird gar eine geregelte „Beschränkung der Lehrlingshaltung“ durch Vertreter verschiedener Berufsgruppen gefordert. Das Ziel ist, der steigenden Arbeitslosigkeit so entgegenzuwirken.

Die wirtschaftliche Lage wird geprägt von Krisen des Bergbaus, der Landwirtschaft, aber auch einem hohen Druck an den Kapitalmärkten und „ungünstigen Finanzverhältnissen“. Die Bauhandwerke, Schlosser, Schmiede und Stellmacher sind in diesen Sektoren auf eine Nachfrage angewiesen, die ausbleibt. Zumal die Zahlungsbereitschaft der Kunden schleppend ist und viele öffentliche Aufträge an „Tagelöhner“ und nicht an das Fachhandwerk vergeben werden, wie die Handwerkskammer kritisiert. Deren Vorstand ist besorgt mit Blick auf die hohe Arbeitslosigkeit, die auch politisch Folgen haben kann. Am 14. September stehen Reichstagswahlen an …

Denen stellt die Handwerkskammer eine deutliche Botschaft voraus: „Wahlrecht ist Wahlpflicht! Jeder Handwerksmeister jede Meisterin, jeder wahlberechtigte Angehörige des Handwerks muss wählen!“, damit das Handwerk „nicht gleichgestellt wird mit den Ehrlosen, den Entmündigten und den Geisteskranken.“ Auch die Frage, wer zu wählen sei, wird beantwortet: „Nur die Listen der mittelstandsfreundlichen Parteien.“ 22 Abgeordnete des nächsten Reichstages werden Vertreter des Handwerks sein, darunter weder NSDAP- noch KPD-Mitglieder.

Aus den Wahlen geht die NSDAP (+ 15,5 %; gesamt 18,3 %) als großer Sieger hervor und wird hinter der SPD (- 5,3 % / gesamt 24,5 %) zweitstärkste Kraft im Reichstag. Auch die KPD kann Stimmen gut machen, die Parteien der Mitte verlieren in einer Wahl mit sehr hoher Beteiligung. Heinrich Otto kommentiert das im Rahmen der 58. Vollversammlung am 10. Oktober: „Das passendste Bild von der Notlage der deutschen Wirtschaft gibt das Ergebnis der Reichstagswahlen. Bemerkenswert ist die Schwächung der Mitte und eine ausgesprochene Stärkung der extremen Parteien von links und rechts. Außergewöhnliche Notstände verwerfen eine ruhige Politik der Mitte, sie suchen im Extremen ihr Heil.“ Überraschend visionär fordert Otto, „Europa solle sich auf seine Interessen besinnen und Mittel des Ausgleichs finden.“ Selbst dem alles andere als zu dieser Zeit angesehenen Nachbarn Frankreich reicht er die Hand – ganz im Sinne einer politischen Annäherung und der Völkerverständigung. Einen nationalen Aufschwung verknüpft Otto mit einem internationalen Bündnis. Heinrich Otto steht dem Hauptamt der Kammer seit 1915 vor und hat das Haus bereits durch manche Krise geführt. Die nächste steht bevor. Er scheidet 1933 aus seinem Amt.